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Interview

Lieben Lesben anders, Ina Rosenthal?

Mit "beziehungs_weise Lesben" von Ina Rosenthal ist der erste deutschsprachige FLINTA-Beziehungsratgeber erschienen. Wir sprachen mit der psychologischen Beraterin über die Besonderheit queerer Partner*innenschaften, die Risiken von Dating-Apps und den Umgang mit Konflikten.


Symbolbild: Junges lesbisches Paar (Bild: darina-belonogova / pexels)
  • Von Luise Erbentraut
    19. Oktober 2025, 13:45h 10 Min.

Wer um Rat in Sachen Beziehung sucht, wird von der Fülle an Ratgebern überflutet – zumindest, wenn man die Dinge aus einer heteronormativen Brille betrachtet. Wer queer lebt und liebt, sucht oft vergeblich. Dieser Leerstelle hat sich Ina Rosenthal angenommen. Mit "beziehungs_weise Lesben" (Amazon-Affiliate-Link ) ist der erste deutschsprachige Beziehungsratgeber für die sapphische Community im Querverlag erschienen.

Im Interview spricht die Berliner Autorin, psychologische Beraterin und Geschäftsführerin bei PinkDot darüber, inwiefern lesbische Beziehungen gesellschaftliche Räume spiegeln – und warum Konflikte kein Scheitern, sondern oft der Beginn echter Verbindung sind.

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Ina Rosenthal, Jahrgang 1968, lebt in Berlin

Ina, deine Arbeit bewegt sich auf verschiedenste Weisen zwischen Psychologie, Kultur und politischem Engagement. Selbst schreibst du, du wurdest in den 1990er Jahren queer sozialisiert. Wie prägen die unterschiedlichen Kontexte und vor allem die Zeit deinen Blick auf lesbische Beziehungen?

Mein Engagement und mein Gerechtigkeitssinn unterscheiden sich gar nicht so sehr von meiner Motivation, zu schreiben oder in der Beratung tätig zu sein. In all diesen Bereichen kommt derselbe Wunsch zum Ausdruck: die Gestaltungsfreiheit zu nutzen, die wir als Menschen haben. Mich interessiert, wie dieses System funktioniert – das Zusammenleben von Menschen, in Gesellschaft, in Beziehungen und über Generationen hinweg. Was hält uns zusammen? Was bringt uns auseinander? Was unterscheidet uns? Am Ende geht es für mich immer um Gemeinschaft – im weitesten Sinne, aber auch im ganz Persönlichen, in unseren Beziehungen.

Geprägt hat mich dabei die Zeit, in der ich groß geworden bin: die 1980er und 1990er Jahre, als die Aids-Pandemie das Leben vieler Menschen überschattete. Diese Zeit hat mein Denken bis heute beeinflusst. Ich habe miterlebt, wie Krankheit, Verlust und Stigmatisierung in meinem Umfeld real wurden – im Freundeskreis, in der Szene. Homosexualität unter Frauen, geschweige denn Bisexualität, Transsexualität oder Non-Binarität – das alles war damals unsichtbar. In der Öffentlichkeit gab es "die schwulen Männer" – und die hatten Aids. Punkt. Das war das Bild von Homosexualität. Lesbische Identität war somit nie selbstverständlich Teil gesellschaftlicher Normalität, sondern immer auch ein politisches Statement.

Als ich in den 1990er Jahren mein Coming-out hatte und die Community entdeckte, war das eine prägende Erfahrung. Wir hatten damals eine starke Szene – solidarisch, kämpferisch, aber manchmal auch eng. Heute leben wir in einer komplexeren, fluideren Realität, in der Identität sich offener und vielfältiger ausdrücken kann. Dieses Spannungsfeld zwischen Aufbruch, Anpassung und Selbstdefinition zieht sich durch mein Denken – und auch durch mein Schreiben.

Der Titel "beziehungs_weise Lesben" ist ein raffiniertes Wortspiel – was steckt dahinter?

Ich wollte einen Titel finden, der auf einen Blick sagt, worum es geht. Und ich selber liebe Wortspiele – wer andere Titel von mir kennt, weiß, das kommt immer wieder. Bei dem Titel des Buches spiele ich bewusst mit dem Doppelsinn: "beziehungsweise" als Verbindungswort – und "beziehungsweise" im Sinn von "weise in Beziehungen".

Mir ging es darum, lesbische Liebe nicht nur als romantisches oder sexuelles Thema zu betrachten, sondern als Erfahrungswissen, das etwas über Nähe, Freiheit, Kommunikation und Identität erzählt. Lesben haben – oft gezwungenermaßen – andere Wege gefunden, Beziehung zu leben, weil sie außerhalb heteronormativer Vorlagen denken mussten. Diese "beziehungs-weisheit" wollte ich sichtbar machen. Also Beziehung nicht als etwas, das passiert und das entweder klappt oder nicht klappt, sondern "beziehungs-weise" zu handeln und dadurch Beziehungen immer wieder gestalten zu können und zu dürfen.

Am Anfang deines Buches steht die Frage "Lesben lieben anders?" – ist das eine provokante These, eine genuine Frage oder vielleicht beides?

Beides. Wenn wir über lesbische Beziehungen reden, kommt ja oft von außerhalb der Community die Frage: Ja, was ist denn daran jetzt so speziell? Warum müssen die denn jetzt was extra haben? Warum ist das denn nicht dasselbe? Und damit stecken da eigentlich viele Fragezeichen drin – ist es wirklich anders? Und wenn ja, was ist anders? Insofern ist es eher eine Einladung, darüber nachzudenken, was Liebe eigentlich prägt: Biografie, Geschlecht, Kultur…

Ich glaube, lesbische Liebe ist anders, weil sich zwei Menschen begegnen, die beide aus einem bestimmten Erfahrungsraum kommen. Natürlich lieben Lesben nicht biologisch anders – Liebe ist Liebe. Aber sie bewegen sich in einem anderen emotionalen und gesellschaftlichen Kontext. Da schwingen Themen wie Sichtbarkeit, Scham, Projektion und Zugehörigkeit immer mit.

Und oft – nicht immer, aber häufig – treffen in einer lesbischen Beziehung zwei weiblich sozialisierte Menschen aufeinander. Das prägt die Art, wie Nähe entsteht, wie Konflikte ausgetragen werden, wie Fürsorge oder Grenzen verhandelt werden. Diese gemeinsame Sozialisation kann Vertrautheit schaffen, aber auch eigene Herausforderungen mitbringen. In diesem Sinn hat lesbische Liebe manchmal andere Ausdrucksformen und Dynamiken als heteronormative oder schwule Beziehungen.

Dein Buch versteht "lesbisch" bewusst inklusiv und schließt bisexuelle, trans und nichtbinäre Menschen mit ein. Wie schaffst du beim Schreiben den Spagat zwischen einem spezifischen Fokus auf lesbische Beziehungen und den vielfältigen Lebensrealitäten, die dahinterstecken?

Ich sehe "lesbisch" nicht als starre Kategorie, sondern als Erfahrungshorizont. Viele queere Menschen bewegen sich zwischen Zuschreibungen, Körperbildern und Selbstdefinitionen. Ich habe da den größten Respekt vor jeder Identität. Dazu kommt, was wir in den 1980er Jahren gelernt haben: Emanzipation bedeutet eben nicht, Machtverhältnisse umzukehren. Stattdessen geht es mir um die Erfahrung von Beziehung unter den Bedingungen von Differenz und Normbruch – und die ist trans, bi, nichtbinär oder lesbisch geprägt, je nach Perspektive. Beim Schreiben versuche ich also, das Spezifische und das Verbindende zu würdigen: nicht zu verwischen, aber auch nicht auszuschließen.

Außerdem beziehst du auch asexuelle und aromantische Perspektiven ein. Was können vielleicht auch Leser*­innen, die dein Buch über den Rahmen von Liebesbeziehungen hinaus lesen, daraus mitnehmen?

Beziehungen sind nicht automatisch romantisch oder sexuell. Sie sind Ausdruck von Verbundenheit, Kommunikation, gegenseitigem Erkennen. Auch Freund*­innenschaften sind Beziehungen! In dem Moment, in dem wir etwas als eine Beziehung definieren, ist es eine. Fertig. Nähe kann viele Formen annehmen – und Intimität hängt nicht von Begehren ab. Wer das Buch liest, findet darin auch eine Einladung, die eigene Beziehungsfähigkeit neu zu verstehen: als Fähigkeit, in Resonanz zu treten, unabhängig vom Format oder der Norm.


Der Ratgeber "beziehungs_weise Lesben" ist im August 2025 im Querverlag erschienen

Apropos Nähe und Resonanz: Was bedeutet es für lesbische Beziehungen, sich oft in einer vergleichsweise kleinen Szene zu bewegen – zwischen Nähe, Sichtbarkeit und sozialer Dichte?

Proportional gesehen zur heteronormen Gesamtbevölkerung sind wir natürlich viel weniger. Das ist einfach ein Fakt, und das ist auch egal, ob ich im Schwarzwald wohne oder in Berlin. Wenn ich mich in einer bestimmten Gegend in der Community bewege, sind mir relativ schnell nicht alle, aber zumindest die Gesichter aus meiner Altersgruppe, aus der Peer vertraut. Das schafft natürlich auf der einen Seite ein Heimatgefühl und Nähe. Auf der anderen Seite wird es natürlich dann auch eng. Viele kennen das ja, man geht auf eine Party und stolpert erstmal über zwei Exfreund*­innen und die eigene Therapeutin. Das ist dann natürlich auch nicht immer angenehm. Insofern schafft die soziale Nähe einerseits Nähe und andererseits Reibung. Viele kennen sich über Ecken, was Vertrauen, aber auch Misstrauen fördern kann. Beziehungen entstehen und enden in Sichtweite. Das macht die emotionale Arbeit oft intensiver – aber auch reflektierter. Man lernt, Grenzen zu wahren, Loyalität als Kompetenz zu denken und Konflikte bewusster auszutragen und bewusster zu gestalten.

Gleichzeitig stehen der Nähe durch die kleine Community (heute) aber auch lokale Distanzen gegenüber, die gerade beim Kennenlernen durch Dating-Apps überbrückt werden. Wie etablieren wir dabei schon zu Beginn und vielleicht auch unbewusst bestimmte Kommunikationsmuster in der Beziehung?

Apps schaffen schnelle Verbindungen, aber sie strukturieren Kommunikation anders – oft effizienter, manchmal flacher. Viele Beziehungen beginnen heute mit Projektionen, Algorithmen und Screenshots statt mit Blickkontakt. Das beeinflusst, wie wir Nähe aufbauen und was wir von ihr erwarten. Wer früh über Text kommuniziert, entwickelt andere Codes für Ehrlichkeit, Verletzlichkeit und Distanz. Das ist spannend – aber es braucht Bewusstsein, um diese Muster später nicht mit emotionaler Tiefe zu verwechseln. Denn sich wirklich als Mensch kennenzulernen, ist etwas, das erst lange nach der Verliebtheitsphase und nach den ersten zwei, drei Krisen entsteht.

Angesichts der auch im Alltag wieder deutlich spürbareren Queer­feindlichkeit: Wie setzt das auch unsere Beziehungen unter Druck – und wie können wir unsere Beziehungen für unsere Partner*­innen als Schutzräume gestalten?

Ich erlebe das sowohl in der Beratung als auch im eigenen Umfeld, dass man sich jetzt wieder öfter fragt: Muss ich in dem Kiez nachts um drei Händchen haltend rumlaufen oder wollen wir zu der Veranstaltung wirklich zu Fuß gehen oder nehmen wir uns lieber direkt ein Uber oder Taxi oder so… Wir kennen das noch aus den 1980er und 1990er Jahren, dann hatten wir eine liberalere Phase, und jetzt ist es plötzlich wieder so. Aber schon allein der Gedanke, dass ich mich das frage, impliziert ja schon: Ich bin schützenswert, aber ich muss mich schützen – und das ist eine Form struktureller Diskriminierung, die ganz leise ist und die wir alle so selbstverständlich aufnehmen, die uns aber natürlich Angst macht. Und wenn ich mich öffentlich mit meiner Partner*in zeige, dann bin ich noch sichtbarer. Also noch gefährdeter, auch wenn ich jetzt übertreibe, und das wirkt sich in welcher Form auch immer auf eine Beziehung aus. Heimlichkeiten können auch Spaß machen, aber sie nehmen uns die politische und menschliche Sichtbarkeit und Würde weg, nämlich ganz selbstverständlicher Teil der Gesellschaft zu sein.

Und ich glaube, wie Schutzräume entstehen können, ist eben genau nicht, sich zurückzuziehen, sondern sich das im Rahmen der eigenen Möglichkeiten bewusst zu machen und Fürsorge zu schaffen und Solidarität und Gespräche. Also darüber zu sprechen. Nicht einfach die Hand weg zu nehmen, wenn's mir unheimlich wird, sondern zu sagen: Ich merke, dass ich mich unsicher fühle, lass uns mal zusammen überlegen, wie wir uns da besser schützen können. Also, wir müssen darüber reden über die subtilen, ganz kleinen Rückschritte, Diskriminierungen und Anfeindungen und sie nicht überspringen. Uns darüber auszutauschen, ist das, was uns als Paar dann auch wieder stabilisiert. Und als politischer Mensch hoffe ich dann natürlich auch darauf, dass wir uns als Community da auch gegenseitig stabilisieren und stützen, dass wir weiterhin sichtbar sein dürfen und können, weil ich denke, wir müssen sichtbar sein.

Im Buch gibst du den Leser*­innen auch einige konkrete Tools wie Kommunikationsmodelle, Reflexionsfragen und Übungen an die Hand. Was wünschst du dir, dass Leser*­innen noch daraus mitnehmen?

Ich wünsche mir, dass Leser*­innen spüren, dass Beziehung gestaltbar ist. Dass Konflikte nichts Kaputtes sind, sondern Übergänge zu mehr Nähe. Mit dem Buch versuche ich deshalb einen Überblick über die "beziehungs-weisheit" zu geben, die ich mir bisher erarbeitet habe. Und darüber, welche Faktoren eine Beziehung beeinflussen und wie man sie gestalten kann. Die Tools sind keine Rezepte, sondern Werkzeuge für Bewusstheit. Mir geht es darum, Gespräche wieder als Begegnung zu verstehen – als etwas, das lebendig, ehrlich und manchmal unbequem ist, aber immer entwicklungsfähig. Deshalb gehören für mich auch die Kommunikationsmodelle, die Bindungstypen und Therapiemethoden und solche Sachen mit rein. Auf der anderen Seite ist es auch das erste Buch seiner Art. Ich kann nicht auf ein anderes Buch verweisen und sagen, guck mal in dem Buch nach.

Wenn das Lesen des Buches dann dazu führt, bei der Kommunikation achtsam hinzuhören und zu fragen: Streiten wir gerade wirklich über das, was gerade wichtig ist? Oder reden wir darüber, um miteinander zu reden? Oder reden wir über Ich-weiß-nicht-was, weil ich eigentlich gar nicht über das andere reden möchte, weil mir das Angst macht? Dann ist das schon super. Etwas vereinfacht sind Konflikte, Krisen, Streit nämlich nicht das Anzeichen für das Ende der Beziehung, sondern eigentlich erst der Beginn.

Außerdem ist schon ein Arbeitsbuch zum Thema angekündigt! Kannst du uns zum Abschluss einen kleinen Ausblick geben?

Das Arbeitsbuch heißt "beziehungs_weise Lesben – Das Arbeitsbuch" und erscheint im Frühjahr 2026. Es richtet sich an Paare und Einzelpersonen, die das Gelesene praktisch umsetzen möchten. Ein Stück weit orientiert es sich an "beziehungs_weise Lesben", vermittelt aber zum Wissen des Buches nochmal ganz konkretes Handwerkszeug – für unterschiedliche Situationen und Herausforderungen. Deshalb sind die Übungen, Reflexionsfragen und kleinen Rituale zwar thematisch gegliedert, haben aber keine bestimmte Reihenfolge. Im Prinzip wie ein Baukasten, so dass die Leser*­innen sich das zusammensetzen können, wie sie wollen. Wie ein Begleiter, der Beziehung spürbar macht und zu echtem Dialog einlädt. Mir war wichtig, dass es kein Kurs oder Workshop im klassischen Sinn wird, sondern ein Begleiter – ein Arbeitsbuch, das Beziehung spürbar macht und zu echtem Dialog einlädt.

Infos zum Buch

Ina Rosenthal: beziehungs_weise Lesben. Liebe, Beziehung und die Kunst des Miteinanders. 296 Seiten. Querverlag. Berlin 2025. Taschenbuch: 22 € (ISBN 978-3-89656-359-0). E-Book: 18,99 €

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