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Interview

Jorge González: "Ich verkörpere alles, was die AfD hasst"

Jorge González ist Botschafter des Musicals "Kinky Boots", das ab Ende Oktober durch Deutschland und die Schweiz tourt. Wir sprachen mit ihm über High Heels, Mut, den langen Weg zur Freiheit und politisches Engagement.


Jorge González wurde u.a. als Jurymitglied der Tanzsendung "Let's Dance" bekannt (Bild: Rich Lakos)

Choreograf, Catwalk-Trainer, Stylist, Designer und Model: All das ist Jorge González – und noch viel mehr. Als Liebhaber von High Heels ist er auch ein idealer Botschafter des Musicals "Kinky Boots", das ab Ende Oktober nach Deutschland und in die Schweiz kommt (queer.de berichtete). Vom 28. Oktober bis 9. November 2025 ist "Kinky Boots" in München zu erleben (Deutsches Theater), vom 11. bis 23. November 2025 in Zürich (Theater 11), vom 17. Dezember 2025 bis 17. Januar 2026 in Berlin (Admiralspalast) sowie vom 20. Januar bis 1. Februar 2026 in Oberhausen (Metronom Theater).

Wir sprachen mit Jorge González im Rahmen einer Pressekonferenz in London.

Was bedeuten High Heels für dich?

High Heels sind ein Statement. Sie stehen für Freiheit und für eine persönliche Entscheidung. Sie sind für mich eine Form von Mut zu leben und zu sagen: Okay, ich präsentiere mich so, wie ich bin, und ich möchte so akzeptiert werden.

Was hältst du von dem Gerücht, High Heels seien eine Erfindung von Männern für Frauen, um diese in ihrer Beweglichkeit einzuschränken und sie als leicht zu habendes Lustobjekt zu reduzieren?

Genau das ist es, was Männer versuchen, Frauen einzureden! In High Heels zu laufen heißt nicht, vulgär zu sein. Man kann elegant und sexy sein, subtil. Man kann eine Frau sein und sagen: Ich bin hier, ohne zu sagen: Nimm mich! Das ist Freiheit. Die Idee ist nicht, für Männer sexy zu wirken – das denken die Männer. Es geht darum, sich für sich selbst sexy zu fühlen. High Heels zu tragen ist für mich nicht nur Show – ich tue es, weil ich es mag, weil ich mich besser fühle.

Und wenn man in die Geschichte zurückblickt...

...waren es zuerst die Männer, die sie getragen haben. Das vergessen viele, darum wiederhole ich es gern. Im Mittelalter waren es die Männer, die Stiefel mit hohen Absätzen trugen. Oder erinnern wir uns nur an die 1970er Jahre, als Plateauschuhe modern waren. Männer wie John Travolta haben sie getragen, das waren richtige Statements. Zum Glück verändert sich unser Blick auf Geschlechterrollen. Das Bild von Männern und Frauen vermischt sich mehr, und die Menschen achten auf die Person selbst, nicht nur auf äußerliche Nuancen. Das ist mir sehr wichtig.

Es gibt Menschen, die das nicht akzeptieren wollen – nicht nur in der Handlung von "Kinky Boots", sondern auch in der Realität.

Genau. Es ist aber wichtig zu zeigen, dass in jedem Menschen das Potenzial steckt, sich zu verändern, Verstand zu zeigen und Akzeptanz zu üben. Wir sind alle verschieden, und wir können gut miteinander leben, wenn wir einander akzeptieren. Das heißt nicht, dass mir alles gefallen muss, was andere tun oder sagen, aber wir müssen einander respektieren. Diese Botschaft vermittelt das Musical sehr gut: Wir sind nur Menschen, die in diesem kurzen Leben versuchen, zusammenzuhalten und Toleranz zu üben.

Direktlink | Trailer zum Musical "Kinky Boots"
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Du hast ja früh Erfahrungen mit deiner schwulen Identität gemacht. Kannst du uns von deinem Coming-out erzählen?

Mein erstes Coming-out für mich selbst hatte ich schon sehr früh, vielleicht mit vier Jahren. Schon als kleines Kind habe ich mit den High Heels meiner Mutter und meiner Oma gespielt. Ich wusste: Ich mag Jungs. Ich wusste nicht genau, was das bedeutet, aber ich wusste, dass ich mich zu ihnen hingezogen fühle. Vielleicht kann man es so ausdrücken: Ich wollte eher mit Ken als mit Barbie spielen!

Doch dann wolltest du weg aus Kuba?

Auf Kuba war das damals ein Versteckspiel, Homosexualität war verboten, alles musste geheim bleiben. Als ich fünf war, wollte ich tanzen lernen, aber mein Vater hat es mir verboten. Er war so ein richtiger Latino-Macho. Kuba war ein kommunistisches Land, Religion war offiziell verboten – doch meine Großmutter war tiefgläubig und katholisch. Das war so widersprüchlich. Ich wusste, dass ich niemandem sagen konnte, dass ich schwul bin, und trotzdem liebte mich meine Großmutter – und sie war es auch, die mir sagte: "Du bist gut so, wie du bist", und ich wusste, dass ich ohne viele Erklärungen bei ihr sicher war. Wer Latino ist – ob weiß oder schwarz – steckt oft in denselben Konflikten. Schon als ich sechs Jahre alt war, dachte ich: Warum ist es so kompliziert, einfach ich selbst zu sein? Es ist wichtig, darüber zu reden und Verständnis zu schaffen.

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Du bist dann nach Europa...

Mit 17 bin ich als Student in die Tschechoslowakei gegangen – so hieß das Land damals noch – und dort hatte ich mein eigentliches Coming-out. Ich war neugierig, weil ich gehört hatte, dass es Gay-Discos in Prag gibt. Ich erinnere mich an meinen ersten Club – er war in einem Keller, ganz versteckt. Ich war so unsicher und habe mich verkleidet, mit Hut, Mantel und Brille, weil ich Angst hatte. Ich war kubanischer Student, das war für mich verboten. Doch dann traf ich Anita, eine junge Schwulenmutti. Sie nahm mich an die Hand, und zum ersten Mal konnte ich offen mit anderen Gays sprechen. Das war unglaublich befreiend. Ich habe gesehen: Es gibt viele Menschen wie mich – Ingenieure, Ärzte, Lehrer – und das hat mir Mut gegeben. Ich fühlte mich wie neugeboren.

Die Phase, als du dich entschieden hast, in Europa zu bleiben, klingt wie ein Agententhriller...

Ja, das war wirklich ein bisschen wie im Film. Die ersten zwei Jahre an der Uni waren für mich ganz leicht – fast wie eine Party. Wir Kubaner waren gut ausgebildet, und am Anfang lief alles spielerisch, nur die Sprache musste ich natürlich lernen. Aber ich habe mich reingehängt, und 1991 habe ich meinen Magister gemacht – ein Jahr später als geplant, weil zwischendurch einfach zu viel passiert ist.

Darf man fragen, was?

Im November 1989 kam die Samtene Revolution, und ich war mittendrin. Ich hatte neben dem Studium ein bisschen gemodelt, getanzt, Theater gespielt – dadurch kannte ich viele Leute von der Theaterhochschule, von wo aus die Revolution in der Tschechoslowakei gestartet ist. Nach der Revolution und der Gründung der beiden Republiken erklärte die kubanische Regierung plötzlich: Das slowakische Volk ist nicht mehr unser Freund, alle kubanischen Studenten müssen zurück. Aber für mich war klar: Ich gehe nicht.

Und was hast Du dann gemacht?

Kurz darauf kam Coca-Cola als einer der ersten westlichen Konzerne ins Land. Sie wollten den ersten Werbespot überhaupt in der neuen Republik drehen – es ging um einen Saft, und sie suchten ein Paar, das Lambada tanzen kann. Da gab es nicht viele, und ich dachte: perfekt! Der Spot sollte erst im Sommer 1990 laufen, und bis dahin wären die Kubaner längst weg. Ich bekomme mein Honorar, bleibe hier – alles gut, dachte ich.

Aber es kam anders?

Als ich an Weihnachten aus dem Urlaub zurückkam, lief der Spot schon überall. Es gab damals nur zwei Fernsehkanäle, und auf beiden war ich ständig zu sehen – tanzend, lachend, Lambada für Coca-Cola. Da kamen natürlich sofort die Abgesandten der kubanischen Regierung. Der Konsul und einige Abgeordnete erschienen an meiner Uni und sagten: "Du hast für den Feind gearbeitet. Du weißt, dass das verboten ist." Ich sollte sofort zurück nach Kuba – mein Rückflug war schon für Freitag gebucht.


Jorge González: "Schon als kleines Kind habe ich mit den High Heels meiner Mutter und meiner Oma gespielt" (Bild: Rich Lakos)

Das klingt nervenaufreibend.

Ich hatte Freunde, und die Revolution hatte uns verbunden. Ich bin zum Unidirektor gegangen, und die Hochschule hat mir für die letzten drei Monate ein Stipendium gegeben. Mit diesem Stipendium bin ich zur neuen slowakischen Regierung gegangen – und die haben mir politisches Asyl gewährt.

Das lief aber alles andere als glatt?

Als ich aus dem Regierungsgebäude kam, standen draußen über hundert Freunde, die darauf warteten, dass man mich nicht gegen meinen Willen mitnimmt. Wäre ich in einem Fahrzeug der kubanischen Botschaft oder gar auf deren Gelände gelandet, hätte ich keinen Schutz mehr seitens der Slowakei bekommen können. Ich hatte ja einen kubanischen Pass. Die Freunde haben mich zum Bahnhof begleitet, von da an musste ich untertauchen. Das berührt mich sehr, wenn ich daran zurückdenke. Ich habe mich fast drei Monate lang in verschiedenen Wohnungen versteckt, denn die kubanische Regierung suchte mich.

Wie war das für deine Familie?

Schlimm. Ich durfte acht Jahre lang nicht nach Kuba reisen, und zwei Jahre lang wussten sie nicht einmal, ob ich noch lebe. Als ich nach so langer Zeit zu meiner Familie reisen konnte, habe ich bei meinen Eltern angerufen und mich geoutet. Die haben sich darauf gefreut, mich endlich wieder zu sehen – und haben mich mit meinem Partner sofort akzeptiert.

Heute lebst Du in Hamburg und engagierst dich für die LGBTI-Community?

Ja, ich habe gerade eine tolle Aktion mit der Hamburger Polizei gemacht, die Kampagne heißt "Wir sind bunt". Für mich ist das wichtig, sichtbar zu sein – aber nicht, um ein Idol zu sein. Ich will Menschen wirklich helfen. Viele junge Gays schreiben mir auf Instagram, weil sie sich alleine fühlen und jemanden suchen, der ihnen zuhört. Ich nehme das sehr ernst.

Als ich selbst jung war, hätte ich mir so jemanden gewünscht – einen Jorge, der sagt: "Alles ist gut, du bist nicht allein." Diese Unterstützung möchte ich weitergeben. Ich glaube, wir sollten in der LGBTI-Community wieder stärker zu den Werten der 1970er Jahre zurückfinden – Familie, Gemeinschaft, Menschlichkeit. Heute geht es oft nur um Party, Sex und Drogen. Wir sind mehr als das.

Für viele Leute, die dich aus dem Fernsehen kennen, bist du vor allem ein Entertainer.

Was die Leute von mir kennen, ist Show. Aber das ist nur ein Teil von mir. Viele ältere Menschen haben mir gesagt, sie dachten, ich sei nur ein "Tralali-Tralala" – und dann haben sie mehr über mich erfahren. Etwa darüber, wie ich mich um meine Eltern und meine Familie gekümmert habe, und sie haben ihre Meinung geändert. Das ist mir wichtig. Wir müssen das menschliche Thema in unserer queeren Community stärken.

Wie stehst du zu politischen Gegnern wie der AfD?

Ich verkörpere alles, was die AfD hasst. Aber ich bin optimistisch und glaube an das Gute im Menschen. Wenn wir der jungen Generation Impulse geben, wichtige Botschaften weitertragen und im Gespräch bleiben, werden die Menschen mehr und mehr verstehen. Aber wir dürfen nicht aufhören, uns zu engagieren und wir dürfen die Gesellschaft nicht den polemischen Spaltern zum Beispiel auf TikTok überlassen – wir müssen immer weiter kämpfen!

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