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Verbotene Liebe

Queere Revolution im Schützengraben

Ein Klassiker der homosexuellen Emanzipationsliteratur: Bruno Vogels 1929 veröffentlichter Roman "Alf" erzählt vom inneren Befreiungskrieg eines jungen schwulen Soldaten im Ersten Weltkrieg.


Symbolbild (Bild: ChatGPT)

"Verdammt seien diese elenden, dummen Pedanten in der Schule …" Mit diesem Fluch beginnt Alf, der junge Soldat an der Front, seinen inneren Befreiungskrieg. Es ist 1915, das Zeitalter der Heldentode, und im Schützengraben erwacht das Denken. Zwischen Blut und Schlamm zerbricht die Phrase vom "süßen Tod fürs Vaterland". Alf sieht die Wahrheit, die kein Lehrer, kein Pfarrer, kein Patriot je aussprach: dass die Toten auf den Feldern der Ehre nicht sterben, sie verfaulen.

In dem 1929 veröffentlichten Buch "Alf" (Amazon-Affiliate-Link ) von Bruno Vogel (1898-1987) – eine Mischung aus Briefroman und Erzählung mit vielen Dialogelementen – ist der Krieg nicht bloß Kulisse, er ist der Schmelzofen einer Erkenntnis: dass jedes Ideal, das Menschen zermalmt, eine Lüge ist.

Paragraf 175 – das unsichtbare Geschoss

Felix, der Zurückgebliebene, entdeckt das wahre Grauen nicht im Schützengraben, sondern in einem Buchladen. Ein grüner Band mit der Aufschrift "§ 175" zerreißt seine Welt. "Wir waren Sexualstraftäter!", schreibt er entsetzt. Es ist der Moment, in dem das System seine Maske verliert. Die gleiche Ordnung, die Knaben zu Helden erzieht, erklärt ihre Liebe zum Verbrechen.

Felix zerbricht fast an der Erkenntnis, dass seine Zuneigung zu Alf, rein und jugendlich, vom Staat als "Wider die Natur" gebrandmarkt wird. Aus Angst vor Schande stößt er Alf fort — und treibt ihn damit in den Krieg. Zwischen beiden steht das Gesetz wie eine unsichtbare Guillotine, geschärft durch Moral, Religion und die Feigheit der Erwachsenen.

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Die Pädagogen der Lüge


Im Jahr 2011 erschien eine Neuauflage von "Alf" in der Bibliothek rosa Winkel des Männerschwarm Verlags. Das Cover zeigt Autor Bruno Vogel im Alter von 17 Jahren als Soldat

Die Briefe sind ein Tribunal über eine ganze Generation von Erziehern. Lehrer, Eltern, Pfarrer — sie alle erscheinen als "pedants", als Kaste der geistigen Unterdrücker. Ihre Werkzeuge heißen Pflicht, Wahrheit, Keuschheit – Worte, die in den Händen der Lügner zu Fesseln werden.

Felix schildert, wie man ihn zum "braven Jungen" erziehen wollte: "Ein braver Junge! Ein braver Junge! Wie ich diese Worte hasse." In diesem Satz klingt der Aufstand einer Jugend, die erkennt, dass Anpassung nichts anderes ist als moralische Kastration.

Alf antwortet aus dem Schützengraben: "Mann, rebelliere doch einmal!" – und meint damit mehr als jugendlichen Trotz. Es ist die Forderung, sich gegen jede Macht zu erheben, die Liebe in Schuld verwandelt.

Die Front der Erkenntnis

Zwischen Granaten und Schmutz wächst in Alf eine Philosophie des Widerstands. Nietzsche wird zu seinem heimlichen Kameraden. "Man muss stark sein – sonst wird man es nie sein." – Aus der existenziellen Hölle zieht er die Kraft zur Revolte: nicht gegen den Feind, sondern gegen das System, das ihn hierher geschickt hat.

Als Alf einem Belgier das Bajonett in den Leib stößt, sieht er plötzlich Felix' Gesicht. In diesem Moment begreift er, dass jeder Krieg ein Selbstmord der Menschheit ist. "Ich werde in diesem Krieg niemanden mehr töten." Mit diesem Schwur endet sein Glaube an Vaterland, Gott und Gesetz. Was bleibt, ist das nackte Gewissen.

Der Gott der Heuchler

In seinen letzten Briefen seziert Felix die Religion mit der Präzision eines Aufklärers. Er fragt: Wie kann ein allmächtiger, gütiger Gott eine Welt erschaffen, in der Kinder an Syphilis geboren werden, in der Männer sich gegenseitig auf Befehl töten?

Seine Gedanken münden in eine bittere Erkenntnis: Der Gott, der Gehorsam fordert, ist kein Gott der Liebe, sondern der Angst. Religion, Moral, Patriotismus – alles Werkzeuge, um Menschen gefügig zu machen. Der wahre Verrat liegt nicht in der "Sünde", sondern im Glauben an heilige Lügen.

Die unerhörte Liebe


Bruno Vogel 1976 in London (Bild: Philip Bengler / wikipedia)

Zwischen Alf und Felix wächst etwas, das stärker ist als Tod und Paragrafen: eine Liebe, die sich selbst erfindet. Ihre Zärtlichkeit spricht in kleinen Gesten, in Anreden wie "Mein lieber, guter Felix", in den stillen Schwüren, einander zu schreiben.

Diese Liebe ist keine romantische Episode, sie ist Widerstand. Inmitten von Vernichtung und moralischer Korruption verkörpert sie das Menschliche selbst – das, was das Gesetz nicht erfassen kann:

Der letzte Brief

"Mach dir keine unnötigen Sorgen, okay? … Ich küsse dich." – Alf schreibt das am 20. Mai 1915. Es ist sein letzter Brief. Vielleicht stirbt er am nächsten Tag, vielleicht überlebt er, doch der Ton verrät: Etwas in ihm ist bereits gestorben – der Glaube an Sinn, Ordnung, Autorität.

Zurück bleibt Felix, der Schüler, der inzwischen alles durchschaut hat. Die Liebe hat ihn gelehrt, zu denken. Der Krieg hat ihn gelehrt, zu hassen. Und der Paragraf hat ihn gelehrt, was Unrecht ist.

Epilog: Die unsichtbare Front

Bruno Vogels "Alf" ist kein Antikriegslied, sondern eine Beichte der Aufklärung. Der Krieg der Körper ist nur das Symptom – der eigentliche Kampf findet in den Köpfen statt. Gegen falsche Götter, gegen eine Moral, die Liebe bestraft.

Was Alf und Felix in ihren Briefen suchen, ist das Unmögliche: eine Welt ohne Lüge. Vielleicht ist dieser Wunsch die eigentliche Revolution – eine, die mit Worten beginnt.

Infos zum Buch

Bruno Vogel: Alf. Eine Skizze. Herausgegeben von Raimund Wolfert. Bibliothek rosa Winkel Band 59. 248 Seiten. Männerschwarm Verlag. Hamburg 2011. Taschenbuch: vergriffen (ISBN 978-3-86300-352-4). E-Book: 12,99 €

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