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Interview
Vermissen Sie die queeren Gallionsfiguren, Ben Whishaw?
Der offen schwule Brite Ben Whishaw war an der Seite von Franz Rogowski in "Passages" zu erleben. Von Ira Sachs stammt nun auch "Peter Hujar's Day", wo er als schwuler Fotograf auftritt. Wir trafen den Schauspieler zum Interview.

Ben Whishaw als Peter Hujar in "Peter Hujar's Day" (Bild: Salzgeber)
- Von
2. November 2025, 08:51h 6 Min.
Ben Whishaw (45) spielte in "Das Parfüm", in "Cloud Atlas" oder der queeren Lovestory "Lilting". Einen gleichgeschlechtlichen Partner hat der schwule Schauspieler auch als Tüftler Q in den James-Bond-Filmen. Zuletzt gab der Brite für Netflix in "Black Doves" den queeren Auftragskiller mit ausgesprochen großer Vorliebe für Champagner.
Nach "Passages" steht Whishaw erneut für Ira Sachs vor der Kamera: Der neue Spielfilm "Peter Hujar's Day", der am 6. November 2025 in die deutschen Kinos kommt, erzählt die Geschichte des amerikanischen Fotografen Peter Hujar und seiner Freundin Linda.
Wir konnten uns mit dem Schauspieler über den Film unterhalten.

Poster zum Film: "Peter Hujar's Day" startet am 6. November 2025 im Kino
Mr Whishaw, ich hatte erwartet, dass Sie bei diesem Gespräch ein Glas Champagner trinken.
So wie meine Figur in "Black Doves"? Im Unterschied zum Auftragskiller Sam mag ich persönlich gar keinen Champagner!
Wenn man sich "Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery" mit Daniel Craig als schwulem Meisterdieb anschaut, kommt man schnell auf die Idee, dass Sie mit Ihrem Ex-007-Partner ein noch perfekteres Paar abgegeben hätten als nun Josh O'Connor?
Naja, vielleicht gibt es noch eine weitere Fortsetzung von "Knives Out". Und vielleicht ergeben sich da noch Möglichkeiten. (lacht)
In "Peter Hujar's Day" sitzen Sie auf einer Couch und müssen sehr lange Monologe lesen. Ist das anstrengender als die Sexszenen mit Frank Rogowski in "Passages"?
Es ist nicht das Gleiche. Allerdings gibt es durchaus Ähnlichkeiten. In beiden Filmen interessiert sich Regisseur Ira Sachs dafür, was es bedeutet, eine Nähe zu jemandem aufzubauen. Es geht um die Frage, wie einfach oder schwierig es sein kann, mit einer Person intim zu werden. Ira will wirklich die Wahrheit erfahren, wie Menschen miteinander umgehen, wenn sie sich näherkommen. Dieses Thema ist typisch für alle Filme von Ira. Wobei sich als Schauspieler hier natürlich ganz besondere Herausforderungen ergeben.
Liegen diese besonderen Herausforderungen darin, dass es mehr intellektuell als emotional zugeht?
Peter wird von Linda gebeten, ihm einfach zu erzählen, was er an diesem einen Tag alles getan hat. Und Peter versucht, sich an die Geschehnisse zu erinnern. Das ist schon ziemlich intellektuell. Wobei mich überrascht hat, wie viele Emotionen damit verbunden sind. Es gibt Zärtlichkeit, Schmerzen, Frustrationen, Angst und Liebe. Es gibt also viele Gefühle unter der Oberfläche.
Sind jene queeren Ikonen der 1960er und 1970er Jahre wie Allen Ginsberg, William Seward Burroughs oder Susan Sontag nicht längst Vergangenheit und haben an Bedeutung verloren?
Es waren tatsächlich völlig andere Zeiten als heute. Was diese Leute geschaffen haben, das macht niemand mehr. Es fühlt sich wirklich entfernt an, der ganze Geschmack ist gewissermaßen verloren gegangen. Insofern ist dieser Film das Porträt einer verlorenen Zeit, einer Kultur, die verschwunden ist.
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Finden Sie es traurig, dass es keine queeren Gurus und Vordenker mehr gibt? Was soll ein Ginsberg in TikTok-Zeiten?
Da stimme ich zu. Es gibt keine solchen queeren Menschen, die gigantischen Figuren sind. Natürlich gibt es wundervolle queere Künstler. Aber jeder ist ein Produkt der Zeit, in der er lebt. Die Giganten haben in einem sehr spezifischen Moment in der Geschichte gelebt, queeres Leben war völlig anders als heute. Deswegen mussten sie unglaublich stark und mutig sein. Sie bekamen nichts auf einem Silbertablett geliefert, sondern mussten sich ihren eigenen Weg erkämpfen.
Wünschen Sie sich, dass Ihr Film dazu inspiriert, Ginsberg und Co. neu zu entdecken?
Ich hoffe es. Wobei das nicht der Grund gewesen ist, dass wir diesen Film gemacht haben. Unser Ziel war eine Hommage an Peter Hujar, diesen außergewöhnlichen Künstler, der zu seiner Zeit leider nie richtig gewürdigt wurde. Zugleich fand ich es eine faszinierende Herausforderung, aus einem Gespräch einen ganzen Film zu machen. Last but not least wollten Ira und ich gerne wieder gemeinsam an einem Projekt arbeiten.
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Ihr öffentliches Coming-out liegt zwölf Jahre zurück. Wie ist die Bilanz? Hatten Sie negative Erlebnisse wie Rupert Everett, der einen Karriereknick beklagt?
Nein, ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht, wobei ich ein bisschen jünger bin als Rupert. Bei meinem Coming-out 2014 hatte die Welt sich sehr verändert. Wobei das für meine Freunde und Familie sowieso nie ein Geheimnis gewesen ist, ich lebte schließlich mit einem Partner zusammen. Es war dann nur für die Öffentlichkeit klar und es gab keinerlei negative Reaktionen.
In "Black Doves" spielen Sie den coolen, schwulen Serienkiller. Das wäre vor zehn Jahren vermutlich kaum möglich gewesen?
Über diese Entwicklung bin ich unglaublich glücklich. Vor zehn Jahren warst du als queere Figur eben der beste Freund von jemandem oder der Feigenblattschwule. Vieles blieb ziemlich stereotyp. Heute hingegen haben wir ein Stadium erreicht, wo queere Menschen in Film und Fernsehen im vollen Spektrum des Regenbogens abgebildet werden. Bis hin zu schwulen Auftragskillern, die gerne Champagner trinken! (lacht)
In Deutschland gab es vor vier Jahren die #ActOut-Kampagne, das kollektive Coming-out von 185 Menschen aus Film, Fernsehen und Theater. Wäre das für Großbritannien kein Thema gewesen?
Ich wusste von dieser Aktion gar nichts. Das klingt sehr nett. Ich weiß nicht, warum wir in Großbritannien nichts Ähnliches getan haben. Ich weiß auch nicht, was das aussagt über unsere verschiedenen Länder! (lacht)
Die alte Frage: Sollten queere Rollen nur von queeren Menschen gespielt werden? Oder ist diese Forderung mittlerweile überholt?
Ich finde nicht, dass queere Rollen nur queeren Menschen vorbehalten bleiben sollten. Es gibt viele Beispiele, wo Leute, die nicht queer sind, solche Rollen ganz wunderbar und vollkommen glaubhaft verkörpert haben. Es sollte allerdings ein gleichwertiges Spielfeld sein, auf dem queere Menschen auch jede Rolle übernehmen können. Aber so weit sind wir noch nicht. Insofern gibt es durchaus Fälle, bei denen zumindest versucht werden sollte, dass eine Rolle, die queer oder transgender ist, auch von so einem Menschen gespielt wird. Das sollte man nicht vernachlässigen, weil wir da einfach noch nicht weit genug sind. Ich hoffe, irgendwann erreichen wir den Punkt, dass jede und jeder einfach alles spielen kann. Das ist das Ziel!
Stimmen Sie zu, dass "Lilting" einer der meistunterschätzten schwulen Liebesfilme ist?
Es freut mich, dass er Ihnen gefallen hat. "Lilting" ist ein wundervoller Film. Er wurde mit sehr wenig Geld, aber mit sehr viel Herz gemacht. Ich liebe den Film sehr!
Aktuell entsteht die nächste Staffel von "Black Doves". Gibt es da wieder die Champagner-Folter für Sie?
Ja, es gibt jetzt wieder Champagner. Aber in Wahrheit ist es Apfelsaft, manchmal auch Grapefruit. (lacht)
Peter Hujar's Day. Spielfilm. USA 2025. Regie: Ira Sachs. Cast: Ben Whishaw, Rebecca Hall. Laufzeit: 76 Minuten. Sprache: englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 12. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 6. November 2025
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