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Kommentar

Evaluation des SBGG: Ausschreibung mit Vorurteilen

Pünktlich zum einjährigen Geburtstag des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) hat das Familienministerium die Ausschreibung für dessen Evaluierung veröffentlicht. Wir haben uns die Leistungsbeschreibung mal genauer angeguckt.


Protestschild "SBGG nachbessern!" beim Berliner CSD 2023: Das Selbstbestimmungsgesetz ist ohne Frage verbesserungsbedürftig – queere Verbände und CDU/CSU haben jedoch sehr unterschiedliche Vorstellungen (Bild: Dr. Frank Gaeth / wikipedia)

Nun ist sie also da – die Ausschreibung für die Evaluierung des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG). Als Geschenk aus dem Hause der Familien- und Bildungsministerin Karin Prien, dem BMBFSF, kam sie rechtzeitig zum einjährigen Geburtstag des SBGG ins Haus geflattert. Und in gut einem halben Jahr sind wir dann schlauer, wer die Evaluation durchführen wird, deren Endbericht uns schließlich im Sommer 2029 vorgelegt werden soll.

Dennoch, auch wenn sich hier wieder einmal bestätigt, dass nicht so heiß gegessen wie gekocht wird, bleibt eine gewisse und leider auch hartnäckige Schieflage festzustellen, wenn es um konservative Positionen und Wahrnehmungen in Sachen geschlechtlicher Selbstbestimmung geht. Deshalb zunächst ein kurzer Rückblick.

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Realitätsverweigerung der Union

Eines der wichtigsten Punkte im letzten Wahlprogramm der CDU war die vollmundige und so unverblümt rechtspopulistische Forderung: Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG). So etwas vergisst man nicht. In den Koalitionsverhandlungen mit der SPD wurde dann aus dem realitätsfernen Wünsch-Dir-was eine vorgezogene Evaluierung. Eine umfassende Bewertung des SBGG hätte es so oder so gegeben, denn die hatte schon die Ampelregierung für spätestens 2029 im Gesetz festgeschrieben. Um hier mit Shakespeare zu sprechen: Viel Lärm um nichts.

Der Lärm freilich bleibt in unangenehmer Erinnerung. Denn er hat sich als eine gefährliche Realitätsverweigerung der Union in Sachen trans, inter und nichtbinär erwiesen. Genauer gesagt – als eine gefährliche Verdrehung der Wirklichkeit. Eine Realitätsverweigerung, gespeist aus Vorurteilen, Misstrauen und Unterstellungen gegen jene Menschen, die seit dem 1. November 2024 das SBGG für Namens- und Personenstandsänderungen in Anspruch nehmen.

Trans Menschen als vermeintliches Risiko für Frauen und Kinder

Da ist ständig die Rede vom Schutz der Kinder und Frauen, als ob diese vom SBGG und von denen, die es nutzen, bedroht werden. Als ob in unserer Gesellschaft nichts gefährlicher sei als die geschlechtliche Selbstbestimmung. Aber wie sieht denn die reale Bedrohung für Kinder und Frauen in unserer Gesellschaft aus? Was haben bitteschön Kinderarmut, Vernachlässigung von Kindern und Kindesmisshandlung damit zu tun, dass Menschen das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung in Anspruch nehmen? Was haben häusliche Gewalt und Femizide damit zu tun? Warum brauchen wir in diesem Land ein Gewalthilfegesetz, ein Gleichstellungsgesetz und noch mehr dieser Art? Weil wir seit einem Jahr das SBGG haben?

Klar, die Tatsache häuslicher Gewalt verträgt sich schlecht mit den wertkonservativen Idealen in Sachen Familie. Nur ist das eine lebensbedrohende gesellschaftliche Realität und das andere eine ziemlich ignorante Idealvorstellung. Nein, nicht die mehr als 22.000 Menschen, die seit letztem November beim Standesamt ihren Namen und Geschlechtseintrag haben ändern lassen, sind ein Risiko für Frauen und Kinder.

Und übrigens auch nicht der eine rechtsextremistische Missbrauchsfall. Den bekommt man mit Strafverfolgung in den Griff und nicht durch Angriffe auf die geschlechtliche Selbstbestimmung. Und dann haben wir noch gar nicht über Hass und Gewalt gesprochen, denen trans, inter und nichtbinäre Menschen ausgeliefert sind und mit steigender Tendenz.

LSVD+ und der Bundesverband Trans* haben es in ihrem gemeinsamen Offenen Brief klar benannt: Das SBGG ist ein wichtiger Fortschritt, aber nicht das Ende der Arbeit für echte Selbstbestimmung. Denn das Gesetz ist verbesserungsbedürftig. Man muss nur den Anteil an Vorurteilen und Misstrauen gegen trans, inter und nichtbinäre Menschen herausstreichen. Und was auch klar ist, Frauenverbände haben kein Problem mit dem SBGG. Ihnen muss man nicht erklären, wo die wahren Probleme in Sachen Frauen- und Kinderschutz liegen.

Bewerbungsfrist endet am 24. November 2025

Was erwartet uns also von der Evaluierung? Zunächst haben alle Bewerber*innen Zeit bis zum 24. November, um ihr Interesse zu bekunden und sich zu bewerben. Ein Konzept und ein Kostenplan für das über vier Jahre laufende Projekt muss bis dahin noch nicht vorgelegt werden. Auszuweisen ist natürlich eine entsprechende Kompetenz in sozialwissenschaftlicher, empirischer Forschung. Wobei ausdrücklich grundlegende rechtliche Kenntnisse vorausgesetzt werden – also in Fragen von Antidiskriminierung, Gleichstellung, Personenstands- und Namensrecht, aber auch Verwaltungs-, Straf- und Familienrecht.

Dazu heißt es in der Leistungsbeschreibung: "Die hiermit ausgeschriebene Evaluation soll insbesondere notwendige quantitative und qualitative Daten ermitteln, auswerten und zusammenfassen sowie in einem gut nachvollziehbaren, datenbasierten Endbericht aufarbeiten. Darüber hinaus ist die Vorlage eines Zwischenberichts erforderlich."

Unter dem Punkt "Ziele des SBGG" wird auch die "Validität von Eintragungen in Personenstandsregistern" angesprochen. Dabei genügt es nach unseren Erfahrungen eben keineswegs, dass lediglich die "Folgen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen […] klar benannt und geregelt werden", wenn die Politik selbst die Validität der Geschlechtsidentität als verhandelbar ansieht, wie wir das in letzter Zeit erlebt haben. Denn offenbar ist der geänderte Personenstand nur zweitklassig und kann beispielsweise durch das Vertrags- und Hausrecht oder im Verteidigungsfall einfach ignoriert werden.

Und was hat in der Leistungsbeschreibung der Hinweis auf den Koalitionsvertrag zu suchen, wenn es unter anderem heißt, bis spätestens 31. Juli 2026 sollen die Auswirkungen des SBGG "auf Kinder und Jugendliche und den wirksamen Schutz von Frauen" in den Blick genommen werden. Mal abgesehen davon, dass das eine Fragestellung mit hohem Diskriminierungspotential darstellt (siehe oben), aber, nebenbei gefragt, wie soll das umgesetzt werden, wenn erst einen Monat vorher überhaupt feststeht, wer den Zuschlag für die Evaluation erhält.

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Geforscht werden soll hinter verschlossenen Türen

So ganz nebenbei erfahren wir an dieser Stelle, dass das Familienministerium (BMBFSFJ) ein "spezifisches Rechtsgutachten" zum SBGG in Auftrag gegeben hat, und zwar zu den Aspekten Minderjährigenschutz bzw. Frauenschutzräume. Da würden wir bei nächster Gelegenheit gern Näheres erfahren. Wer ist damit eigentlich beauftragt worden? Und hoffentlich geht es nicht darum, die politischen Vorurteile zum Thema SBGG und Kinder beziehungsweise Frauen bestätigt zu bekommen. Wie wär's, wenn trans Frauen nicht länger als generelle Verdachtsfälle behandelt werden würden.

Interessant wird der Evaluationsprozess auch, wenn es um die Frage der Beteiligung der Community geht – so genau ist das nicht ersichtlich. Ersichtlich ist nur, dass voraussichtlich im dritten Quartal 2026 das "Gesamtforschungsdesign" der Evaluation im Rahmen einer Fachveranstaltung vorgestellt und diskutiert werden soll. Terminiert ist ebenfalls ein Zwischenbericht für Mai 2028 und ein Endbericht ein Jahr später. Geforscht werden soll übrigens hinter verschlossenen Türen. Wir bleiben gespannt.

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