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Ab Donnerstag im Kino
Warum "Peter Hujar's Day" ein bemerkenswerter Film ist
Der schwule Fotograf Peter Hujar berichtet der Autorin Linda Rosenkrantz von seinem Tag – unglaublich detailliert und mit schlüpfrigen Lästereien. Ira Sachs' neuer Film würdigt den Künstler – und ist Reflexion über Kunst und Zeit zugleich.

Ben Whishaw als Peter Hujar in "Peter Hujar's Day" (Bild: Salzgeber)
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4. November 2025, 10:47h 4 Min.
"Na, wie war dein Tag?", das ist eine genauso floskelhafte wie unverfängliche Einstiegsfrage in ein Gespräch. Die meisten werden eher knapp darauf antworten. Ganz gut, stand im Stau, der Kollege nervt, gegenüber hat ein neues Café aufgemacht, die Milch ist leer. Smalltalk. Was passiert schon an einem Tag?
Das dachte der schwule Fotograf Peter Hujar auch, als die Autorin Linda Rosenkrantz ihn bat, ihr für ein Kunstprojekt von seinem Tag zu erzählen. Ach, so viel ist doch gar nicht passiert, meint er zunächst. Doch dann macht er sich Notizen, am nächsten Tag fährt er in ihre Wohnung. Das Tonband läuft, er beginnt zu erzählen. Und er merkt: So ein Tag kann ganz schön voll werden.
Simples Setting, bemerkenswerter Film

Poster zum Film: "Peter Hujar's Day" startet am 6. November 2025 im Kino
Aus dem Projekt von Linda Rosenkrantz ist nie etwas geworden. Doch ein Transkript des Interviews fand seinen Weg ins Archiv, 2019 stößt ein Doktorand zufällig darauf. 2022 veröffentlicht ein kleiner Verlag den Text. Da dreht Ira Sachs gerade mit Ben Whishaw und Franz Rogowski das Drama "Passages". Der schwule Regisseur ist begeistert und beschließt, den Text mit Ben Whishaw zu verfilmen.
"Peter Hujar's Day" ist aus mehreren Gründen ein bemerkenswerter Film geworden. Eigentlich klingt das Setting denkbar simpel: Ben Whishaw erzählt als Peter Hujar von seinem Tag, Rebecca Hall hört in der Rolle der Linda Rosenkrantz zu. Der Film spielt ausschließlich in ihrer Wohnung – auf dem Sofa, im Bett, am Esstisch, mal kurz auf der Dachterrasse.
Peter Hujar ist ein guter Lügner
Peter Hujar erzählt, wie er von Freund*innen und Bekannten angerufen wird, darunter der Intellektuellen Susan Sontag, die später das Vorwort zu seinem einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten Bildband ("Portraits in Life and Death") schreiben wird. Dann trifft er den schwulen Dichter Allen Ginsberg für ein Fotoshooting – und macht sich zuvor lange Gedanken, welchen Mantel er anziehen soll.
Es ist erstaunlich, wie präzise er sich an all das erinnert. Nicht jedes Detail ist dabei gleich spannend – aber auch nicht jede Sekunde eines Tages ist gleich interessant. Peter Hujar scheut sich zudem nicht, über die Menschen in seinem Umfeld zu lästern. Einen Bekannten lügt er dreist am Telefon an, um ihn abzuwimmeln. Der spreche immer so viel und komme nicht zum Schluss. Das Apartment von Ginsberg sei heruntergekommen gewesen. Am nächsten Tag wolle er William Burroughs fotografieren – den Autor des Romans "Queer", den Luca Guadagnino im vergangenen Jahr adaptierte – da habe Allen Ginsberg doch gesagt, wenn er William einen blase, würden das sicher gute Fotos.
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Eine greifbare Intimität
Rebecca Hall sagt zwar wenig, aber auch ihr Zuhören spricht eine eigene Sprache. Außerdem ist sie alles andere als eine neutrale Interviewerin: Sie lästert mit, bewundert Peters Fähigkeit zu lügen oder macht sich Sorgen, er esse zu wenig. Wenn sie später gemeinsam im Bett liegen, berühren sie sich zart – es entsteht eine greifbare Intimität.
Ira Sachs betont dabei die Künstlichkeit des filmischen Vorhabens: Ganz am Anfang sieht man eine Filmklappe, später einmal kurz einen Teil der Filmcrew. Der elliptische Schnitt von Affonso Gonçalves verstärkt diesen Eindruck.
Reflexion übers Zeitvergehen und Kunstschaffen
Zwischendurch posieren die zwei Darsteller*innen, untermalt vom Requiem in d-Moll, Mozarts letzter Komposition. Der Kameramann Alex Ashe findet nicht nur erstaunlich abwechslungsreiche Perspektiven innerhalb dieser einen Wohnung, auch sein körniges 16mm-Bild ist kraftvoll und vintage zugleich.
"Peter Hujar's Day" würdigt den Fotografen als Person und als Künstler, was der mehr als verdient hat. Auch wenn die allermeisten Namen vielen Zuschauenden wenig sagen werden, ist der Film darüber hinaus wahnsinnig ergiebig: In knapp 75 Minuten stellt er eine Reflexion übers Kunstschaffen und übers Zeitvergehen dar. "Na, wie war dein Tag?" – Diese Frage wird man nach diesem Film anders beantworten.
Peter Hujar's Day. Spielfilm. USA 2025. Regie: Ira Sachs. Cast: Ben Whishaw, Rebecca Hall. Laufzeit: 76 Minuten. Sprache: englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 12. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 6. November 2025
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