Die Zwei-Millionen-Metropole am Pazifik atmet Liberalität. Hier steigt jedes Jahr einer der größten Gay Prides der Welt.
Von Hermann J. Huber
Die Menschen hier leben am Meer und in den Bergen. Hinter den Wolkenkratzern stehen idyllische Wohnhäuser mit liebevoll gepflegten Kleingärten. Kein Wunder, dass Vancouver regelmäßig als eine von drei Städten mit der weltweit höchsten Lebensqualität bewertet wird. Die Winter sind die mildesten im Land. Und auch im Sommer ist es um bis zu vier Grad wärmer als im Rest Kanadas.
Vancouver verströmt ein nahezu mediterranes Flair. Über 18 Kilometer lang erstrecken sich die Badestrände. The Wreck Beach in der Nähe der Universität von British Columbia ist das Gayrevier. Hier darf sogar nackt gebadet werden. Viele schwule Muskelkerle und Asiaboys tummeln sich auch zwischen Beach Avenue und Sunset Beach Park, wo die Davie Street scheinbar direkt in den Pazifik mündet.
Die Davie Street beherbergt weit über ein Dutzend schwuler Cafés, Bars, Clubs, Shops und Saunen. Ein Muss ist das "Numbers", die älteste Gaybar der Stadt, die sich über fünf Etagen erstreckt. Als Krönung des Nachtlebens darf man das "Celebrities" nicht verpassen. Der Club, vor dem sich am Wochenende lange Schlangen bilden, ist eine äußerst gelungene Mischung aus Factory und Gallery. 35 Dollar Eintritt scheinen niemanden abzuschrecken, denn die Dance-Rhythmen sind heiß, die Kellner äußerst sexy. Und: Der Club verfügt über einen Rauchersalon, eine Seltenheit in British Columbia.
Eine absolute Attraktion ist der Gay Pride. Er findet jedes Jahr am ersten August-Wochenende statt. Am Samstag steigt an den Stränden der English Bay der Feuerwerkswettbewerb "Celebration of Light". Eineinhalb Millionen Menschen pilgern über die Davie Street an den Strand, um dieses gigantische Spektakel zu erleben. Am Sonntagmorgen danach ziehen dann Schwule und Lesben durch die Straßen, von Hundertausenden Zuschauern beklatscht. Vancouvers Gay Pride ist einer der aufregendsten der Welt.
Angeführt wird die Parade stets von Mark Tewskbury, dem schwulen Schwimm-Olympiasieger von 1992, sowie den Vertretern aller Parlamentsparteien. Sogar der Vorsitzende der Konservativen lässt sich im Porsche sitzend bejubeln, eingerahmt von barbusigen lesbischen Motorradfahrerinnen und küssenden Eishockeyspielern. Die Politiker haben Gays gegenüber ein reines Gewissen: Seit 2003 ist die Homo-Ehe in British Columbia in Kraft.
Das liberale Klima ist mit Händen zu greifen. Der Gay Pride, so Bürgermeister Tim Stevenson, der seine Stadt als "very gayfriendly" preist, sei Ausdruck dafür. Er marschiert neben Nudisten, die als pudelnackte Holzfäller auftreten, schwulen Polizisten, die die Sirenen ihrer Dienstwagen aufheulen lassen, oder Feuerwehrmännern, die die Schläuche ihrer Löschfahrzeuge öffnen, um für Abkühlung zu sorgen. Schwule Ärzte und Pfleger sind mit Krankenwagen und Bahren im Zug zu finden. Ein jüdischer Rabbiner segnete 2007 ein Lesbenpaar.
Nur ein Prominenter fehlte bislang in der Parade: Hayden Christensen. Der 27-jährige Star aus "Starwars" wurde in Vancouver geboren und lebt hier. Vancouver ist nach Los Angeles und New York die drittgrößte Filmmetropole Nordamerikas. Zehn Prozent aller Hollywood-Filme werden hier gedreht, etwa "Akte X", "Stargate" oder "Smallville".
Vancouver ist als wichtigster Hafen Nordamerikas eine wirklich weltoffene Stadt. Bis in die achtziger Jahre bildeten die Deutschen nach den Briten die zweitgrößte Bevölkerungsschicht. Mittlerweile gehören jedoch 47 Prozent der Einwohner der sogenannten "sichtbaren Minderheit" an – den Chinesen. Viele von ihnen stammen aus Hongkong und sind, nachdem die ehemals britische Kronkolonie zu China kam, nach British Columbia ausgewandert. Vancouver wird deshalb auch als "Hongcouver" bezeichnet.
Der schwule Tourismus steigt. Denn Vancouver präsentiert sich jung, frisch und schillernd. Mit großer Freude sieht man den Olympischen Winterspielen 2010 entgegen, die zusammen mit Whistler ausgetragen werden. Nicht verpassen darf man einen Ausflug auf den 1250 hohen Grouse Mountain, den höchsten Berg der Stadt. Hier leben Grendar und Coola, zwei verspielte und verschmuste Braunbärenmännchen. Die beiden fünf Jahre alten Gay Bears sind eine Art Wahrzeichen für die Schwulenfreundlichkeit Vancouvers.