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- 13. Juni 2008 4 Min.
In einem Referendum haben die Iren den Vertrag von Lissabon und damit auch die EU-Grundrechtecharta abgelehnt.
Von Dennis Klein
"Es sieht nicht gut aus für die Befürworter des EU-Reformvertrags", erklärte Europaminister Dick Roche, nachdem über den Sender RTE die ersten Ergebnisse aus den Wahlkreisen eintrudeln. Bald stellte sich heraus: Das "Nein"-Lager hat gewonnen, gerade auch weil die Wahlbeteiligung sehr schlecht war. Nach dem Schock sank der Euro auf den tiefsten Stand gegenüber dem Dollar seit einem Monat.
Damit kann der 2007 unterzeichnete Vertrag von Lissabon voraussichtlich nicht im kommenden Jahr in Kraft treten. Denn alle 27 EU-Mitgliedsländer müssen ihm zustimmen. Auch die Grundrechtecharta, auf die im Vertrag verwiesen wird, erlangt keine Rechtsverbindlichkeit. Sie sah auch ein Diskriminierungsverbot aufgrund von sexueller Ausrichtung vor – das wäre ein Novum in der europäischen Rechtsgeschichte gewesen. Irland ist das einzige Land, in dem EU-Verträge in einem Referendum ratifiziert werden müssen.
'Nein'-Koalition aus Christen, Gewerkschaftern und Nationalisten
Die Regierung und die größte Oppositionspartei hatten sich für ein "Ja" eingesetzt. Allerdings kippte in Irland wegen schlechter Wirtschaftsaussichten und hoher Inflation die Stimmung; schuld waren dann "die da oben" – also die Politiker in Dublin und Brüssel, denen man auf diese Weise eins auswischen konnte.
In der Ablehnung gab es dabei kuriose Koalitionen: Christliche Fundamentalisten standen Seit and Seit mit linken Gewerkschaftern und Ultranationalisten: Die Christen fürchteten die Legalisierung von Abtreibungen und der Homo-Ehe wegen der Grundrechtecharta. Die Gewerkschafter malten das Bild vom bösen kapitalistischen Europa an die Wand – und die Nationalisten sahen die Unabhängigkeit und Neutralität Irlands gefährdet.
Wie es nach einem Nein weitergeht, ist unklar: Der französische EU-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet erklärte bereits, dass der Vertrag und die Grundrechtecharta nach einem "Nein" der Iren gestorben seien. Allerdings hat sich die EU bislang immer recht flexibel gezeigt: So lehnten die Iren bereits 2001 den Vertrag von Nizza ab, nahmen ihn aber ein Jahr später – nach marginalen Änderungen – doch noch an. Ob das mit dem Vertrag von Lissabon möglich sein wird, steht in den Sternen. Immerhin ist ein weiter gehender Entwurf, der noch den Namen "EU-Verfassung" trug, vor einigen Jahren an Referenden in den Niederlanden und Frankreich ebenfalls gescheitert. Ein dritter Anlauf erscheint daher eher unwahrscheinlich.
„Tragödie für die Grundrechtsentwicklung“
Hannes Tretter, Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte, sieht eine Ablehnung des Vertrags und damit der Grundrechtecharta als "Tragödie für die Grundrechtsentwicklung in Europa" an. "Eine Grundrechtssicherung haben wir zwar auch ohne Charta", so Tretter gegenüber dem "Standard" sie geht allerdings über die Europäische Menschenrechtskonvention hinaus. Und darin werden Schwule und Lesben nicht ausdrücklich erwähnt.
Einen Lichtblick gibt es dennoch: Am gleichen Tag, an dem die Iren "Nein" sagten, erklärte die Europäischen Kommission, dass sie eine umfassende Antidiskriminierungsrichtlinie erlassen will (queer.de berichtete). Stimmt der Ministerrat zu, könnten so die Rechte von Schwulen und Lesben gerade in Osteuropa entscheidend gestärkt werden.
Denn die Grundrechtecharta war vor allem in Polen umstritten, das sich am Diskriminierungsverbot für Schwule und Lesben störte. Auf Druck von Präsident Lech Kaczynski erreichte das Land daher ein Opt-out, muss die Charta also de jure nicht befolgen. Das ist ein üblicher Vorgang innerhalb der EU, damit störrische Länder nicht gleich ein ganzes Vertragswerk ablehnen. Auch Großbritannien erreichte ein Opt-out, weil das Land fürchtete, dass mit der Grundrechtecharta Streiks erleichtert werden könnten.
In Deutschland hat der Bundestag den Vertrag von Lissabon und die Grundrechtecharta mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen befürwortet. Nur die Linkspartei stimmte dagegen (queer.de berichtete).
Der Vertrag sollte neben der Grundrechtecharta vor allem einen vereinfachten Abstimmungsmodus einführen, der einer größeren EU gerecht wird. Einzelne Staaten sollten zukünftig nicht mehr so leicht Entscheidungen blockieren können. Außerdem sollte die Zusammenarbeit verstärkt werden, etwa in der Verteidigungspolitik. Linke Kräfte kritisieren diesen Passus. Außerdem bleibe das Demokratiedefizit der EU teilweise bestehen, bemängelt insbesondere die Linkspartei, während auf der anderen Seite des politischen Spektrums die Auflösung Deutschlands in einem europäischen Bundesstaat befürchtet wird. Der Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) hat deshalb Verfassungsklage gegen den Vertrag eingereicht. Ob die Klage nach dem Nein der Iren überhaupt noch nötig ist, bleibt offen. Jedenfalls schlittert die EU dank der eigensinnigen Insulaner derzeit in einer ihrer tiefsten Krisen.
Links zum Thema:
» EU-Grundrechtecharta
» Vertrag von Lissabon















was steht denn drin ?
habe ich durch ihn mehr oder weniger rechte ?
wo ballt sich macht neu, wo geht welche verloren ?
charta klingt nett, ein bißchen wie magna charta,
oder gar charta der menschenrechte.
gar nicht wie guantanamo, einsatztruppen oder
militär im innern.
grundrechte ? auch fein. recht auf leben, recht auf bildung, recht auf arbeit, recht auf würde im alter.
kennt jemand die §§§§§§§ ?
oder gab es wieder übersetzungsfehler ?
bitte um mitteilung !