Vor genau 25 Jahren erschütterte die Kießling-Affäre Westdeutschland - der skurrile Fall war der erste große Skandal nach der von Bundeskanzler Helmut Kohl proklamierten "geistig-moralischen Wende".
Von Dennis Klein
Die 80er Jahre scheinen in Revival-Shows als lustiges und skurriles Jahrzehnt. Doch die Gesellschaft dachte noch anders in einer Welt, in der Elton John mit einer Frau verheiratet war und in dem sich weibliche Groupies Hoffnung auf Sex mit dem hüftschwingenden George Michael machten. Auch die Bundesrepublik hatte vor einem Vierteljahrhundert einen Skandal, wie er heute wohl nicht mal von verzweifelten Gag-Schreiber erfunden werden würde: Der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der westdeutschen Streitkräfte, will im Herbst 1983 erfahren haben, dass ein "Günter von der Bundeswehr" im Kölner Schwulenetablissement "Tom-Tom" verkehren soll. Nach Ermittlungen sollen einige offenbar angetrunkene Gäste der Stricherkneipe den Vier-Sterne-General Günter Kießling erkannt haben. Immerhin war dieser ledig - was als sehr verdächtig galt.
Der Fall erreichte schnell Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU). Der war geschockt: In dieser Zeit lieferte sich der Westen mit dem Ostblock ein Wettrüsten und eine gewisse Paranoia herrschte in Militärkreisen vor. Ein schwuler General, der zudem noch Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte war und damit höchster deutscher Vertreter im westlichen Verteidigungsbündnis - so was ging in Wörners Welt nicht. Schließlich sei der General nun von den Sowjets erpressbar, wenn sie von dessen "sexueller Abnormität" Wind bekommen.
Der Verteidigungsminister feuerte Kießling schließlich im Dezember `83, ohne Gründe zu nennen. Die Presse wurde schließlich im Januar auf die Affäre aufmerksam - und die Debatte begann. Wörner gab sich da noch siegessicher und erklärte im ZDF: "Jeder Irrtum ist ausgeschlossen." Kießling selbst gibt der Bevölkerung sein "Ehrenwort", nicht schwul zu sein.
Im Januar `84 wurden die Ermittlungen des MAD bekannt, die recht dürftig sind. So habe ein Militärarzt dokumentiert, dass Kießling bei einer Untersuchung "an sich rumgespielt" habe. Der Doktor widersprach dieser Darstellung aber sofort in der "Bild am Sonntag". Als das Verteidigungsministerium keine Beweise fand, interviewte Wörner sogar persönlich zwei Stricher, um sie mit Kießling in Verbindung zu bringen. Glaubhafte Zeugen waren allerdings nicht zu finden. Vielmehr entpuppte sich, dass "Günter von der Bundeswehr" viel eher "Jürgen" hieß - und nichts mit Kießling zu tun hatte. Der Spott im Bundestag war Wörner damit sicher: Der frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Joschka Fischer bezeichnete den Verteidigungsminister als "Manfred von der Bundeswehr".
Schließlich zog "Manfred" die Geschütze ein: Im Februar wurde Kießling wieder eingestellt, während die Presse bereits darüber debattierte, ob Homosexualität wirklich ein Sicherheitsrisiko sei. Kießling selbst empfand die Affäre als tiefe Beleidigung. Er war nur wenige Monate im Amt und wurde dann in allen Ehren mit einem Großen Zapfenstreich in den Ruhestand versetzt. "Nach dem Geschehenen konnte und wollte ich in dieser Bundeswehr nicht mehr dienen", erklärte er Jahre später in einem Buch.
Wörner dagegen bot Kanzler Kohl seinen Rücktritt an, der diesen ablehnte. Später machte der Verteidigungsminister sogar noch Karriere: Er wurde 1988 zum NATO-Generalsekretär befördert und blieb auf diesem Posten bis zum seinem Tod im Jahre 1994.
Zuvor musste sich der gestandene Oberst der Reserve aber selbst eines Homo-Gerüchtes erwehren: Die linke Zeitschrift "Konkret" berichtete kurz nach der Affäre, dass Wörner "gerade deshalb wieder geheiratet hätte", weil er im ähnlichen Verdacht wie Kießling stehe. Der CDU-Politiker dementierte umgehend. In der "Bild"-Zeitung klang das damals so: "Homo-Gerücht um Wörner - Minister empört."
Zwar habe ich als Kind Helmut Kohl und auch den Verteidigungsminister Wörner in der Tagesschau damals "mitbekommen" und auch die Neue Deutsche Welle ist mir noch als Kind vertraut. Aber die Kießling-Affäre habe ich nicht mitbekommen, die habe ich erst später nachgelesen.
Da ich eigentlich insbesondere durch die ganze "Homo-Ehen-Debatte" der 1990er und 2000er und das Lebenspartnerschaftsgesetz homopolitisch geprägt wurde, ist für mich selbst kaum noch vorstellbar, dass eine solche Affäre in Deutschland in den 1980ern möglich war. Das ist tatsächlich bereits Geschichte und gehört mittlerweile in den Geschichtsunterricht, der mittlerweile in den Schulen bis 1989/1990 (Deutsche Einheit) gelehrt wird.
Da frage ich mich, wie die ganze gegenwärtige "Homo-Ehen" Debatte auf künftige Generationen wirken wird.